Über mich:
Charlotte R. geboren und aufgewachsen in MV. Studierte Koreastudien und Ostasienwissenschaften an der FU Berlin und der Ewha Womans University in Seoul. Derzeit studiert sie Kommunikationswissenschaften und Germanistik an der Universität Greifswald.
Charlotte R. aufgetaucht im neuen Jahrtausend. Schläft viel, liebt Kuchen und Plateauschuhe. Ihre liebste Farbe ist gelb. Sie verbringt viel Zeit mit dem Neuland, auch bekannt als Internet. Manche sagen sie nehme zu viel Raum ein. Heute nimmt sie sich ihn.
Briefwechsel:
Charlotte R. – Olena Fomenko
Originaltexte
Blau klaut Heimat
Blau wie der klare Winterhimmel, blau wie die Augen meiner Mutter, blau wie das Meer an dem ich groß wurde, blau ist nun auch meine Heimat. Auf TikTok und instagram sammeln sich blaue Herzchen in den Kommentaren. Blaue Wahlplakate schmücken die Städte. Blau war eigentlich immer eine meiner Lieblingsfarben … Blau für Ruhe und Treue.
Jetzt steht Blau für Hass und Hetze, für Faschismus.
Faschist*innen, die uns aktiv versuchen die Heimat wegzunehmen. Sie sind bemüht, das, was uns einzigartig macht, zu untergraben mit ihrem blauen Heimatbild. Geprägt von Verfolgung, Hass und Ausgrenzung. Ohne Vielfalt, Liebe und Gemeinschaft. Es wird ein Ihr vs. die Anderen. Gegen die Queeren, gegen die nicht Deutschen – was auch immer das nun für sie heißen mag-, gegen die Behinderten, gegen die Armen, gegen Frauen und gegen alles, was kein alter weißer Cis-Mann ist. Eine Heimat, die ich nicht will. Und viele andere auch nicht. Aber sie wird zunehmend Realität.
Sie sind überall, finden massenweise Anklang. Und das macht vielen von uns Angst. Wir überlegen, wie wir sicher überleben können. Freund*innen meiner Eltern fragten uns auf einem Geburtstag: „Und sind eure Koffer schon gepackt?” Viele von uns denken nun ernsthaft darüber nach, Deutschland zu verlassen. Ich, eine junge autistische und engagierte Feministin und auch mein koreanischer Partner werden uns immer sicherer, Deutschland irgendwann hinter uns lassen zu müssen. Möchte ich weg? Nicht wirklich, aber ich habe das Gefühl, dass es Zeit wird.
Unsere Heimat schwindet mit jeder Stimme für blau. Und die Wähler*innen der Faschisten werden zu spät ihr blaues – faschistisches – Wunder erleben.
Fremde
Ich fühle mich fremd, wo ich gehe und stehe, ist da dieses Gefühl. Ich bin so anders, immer ein Alien. Auch wenn ich zunächst nicht auffallen mag, aussehe wie viele andere Frauen, bleibt das Gefühl. Viele der Menschen hier fühlen sich nicht mit ihrem Land verbunden, beschweren sich, sehen nur das Schlechte. Traditionen und Verbindung zu den Ahnen hat hier kaum jemand, die Vergangenheit bleibt weit zurück.
Sie sprechen alle dieselbe Sprache, doch wirklich verstehen tut sich keiner. Die Kapazität, Zeit und Empathie fehlen vielen. Zuhören, nicken und etwas antworten. Blabla. Oft versteht auch mich keiner. Verstehen und verstanden werden, ein komplexer Prozess.
Daher kontrolliere ich mich jeden Tag, versuche eine angenehme Gesellschaft zu sein, meine beste Seite zu zeigen. Ich setze die Maske auf, unterdrücke einen Teil meiner selbst und werde Teil der Masse. Nicht weiter aufzufallen. Ganz normal. Unauffällig.
Korean feelings
Ich komme nach draußen, klare kühle Luft schlägt mir entgegen. Langsam watschle ich behutsam voran, um nicht auf der frischen Eisschicht auszurutschen. Meine Sinne nehmen gerade vieles war. Die eisige Kälte, den Duft der vielen Speisen am Straßenrand, die sprechenden Menschen neben mir und den Verkehrslärm der hektischen Busse und Taxis. Über mir ist der graue Himmel, hohe dunkle Bauten ragen in ihn hinein. Mehrere Wochen bin ich nun schon hier, genieße die Zeit ohne Verantwortung, ohne die Probleme, die zu Hause geblieben sind. Ich habe hier gelebt, es war eine aufregende Zeit, die aber durch die Gewalt der Pandemie und ihrer Folgen mit viel Trauma und Schmerz getrübt ist. Wenn ich aus dem Flieger steige, „Quarantine Area“ und „Immigration Office“ lese, scheint alles wieder hochzukommen, ohne Vorwarnung, immer wieder.
Warum bin ich wieder hier? Will ich hier sein? Oder bin ich nur wegen ihm hier?
Er scheint so glücklich, so entspannt. So sorglos. Ich spüre mit jedem Tag hier, wie die sonst dauerhafte Anspannung von ihm abfällt. So viele Barrieren werden hier nichtig. Im Gegensatz zu mir ist er tief verbunden mit seiner Heimat. Während er hier heimisch ist, bin ich die nette Ausländerin, die ihre Sprache so gut spricht. Ich muss gestehen, dass mir die Komplimente oft schmeicheln. Auch ich kann hier gut runterkommen. Der Autismus macht mich anders, so anders, dass ich egal wo immer sonderbar wirke. Hier bin ich nur ein 외국인 wae-guk-in, ein Mensch aus dem Ausland, keine Autistin.
Meine Schuhsohle rutscht unsicher über den Boden. Mist, schon wieder ein Gullideckel. Ich stapfe weiter, die U-Bahnhaltestelle in Sicht. Sie ist mir durch meinen vorigen Aufenthalt vertraut. Ich kenne die Läden und Restaurants daneben, die kleinen Geschäfte in der Haltestelle. Die Universität, die hier steht und nach der die Station benannt ist, war mal meine und ich eine ihrer zahlreichen Studentinnen. Wehmütig, aber auch stolz erinnere ich mich an die Zeit dort.
Es ist laut, stetig piepen die aufladbaren Karten über die Eingänge zum Bahnsteig. Auch ich zücke meine Karte. Mit einem Piepen laufe auch ich in Reih und Glied mit vielen jungen Studentinnen auf eine schier endlose Rolltreppe zu. Ich muss mich zusammenreißen, beim Tritt auf die erste sich bewegende Stufe nicht zu zögern. Ein Schritt nach vorn, ich stehe. Wir bewegen uns nach unten. Plötzlich ertönt eine Melodie, die Bahn trifft ein. Auf einmal wird aus rechts geduldig stehen, links koordiniert nach unten sprinten. Ich halte mit, erreiche die Plattform und bin am Eingang, bevor die Türen auf der Plattform sich öffnen. Blitzschnell steigen alle ein, die Türen schließen und eine reibungslose Fahrt beginnt. Einige Stationen später erscheint der Hankang, der Fluss der die Stadt in Nord und Süd teilt. Diese Strecke bin ich wirklich oft gefahren, jedoch fasziniert mich der Blick immer wieder. So oft hat dieser Anblick mir Trost gespendet, die Sonnenuntergänge und die leuchtende Stadt bei Nacht haben mich die Einsamkeit kurz vergessen lassen. Heute ist der große Fluss ein guter Vertrauter von mir. Ich fahre weiter, erkunde die Stadt, entdecke nun nicht mehr allein die zahlreichen Facetten Seouls. In wenigen Wochen wird es wieder zurück nach Hause gehen, dann ist dieser Moment eine von zahlreichen Erinnerungen, die zurück in Deutschland die Sehnsucht nach Korea in mir wecken werden. Meine Beziehung zu dieser einzigartigen Stadt ist ambivalent.
Um es mit den Worten des Sängers Kim Namjoon zu sagen: „I hate you Seoul, I love you Seoul.“
Der allgegenwärtige Tunnel des Nichtstuns
Ich schlage die Augen auf. Noch betrunken von wilden Träumen frage ich mich:
Wo bin ich?
Welcher Wochentag ist heute?
Wie spät ist es?
Wo ist berrynyang, meine dicke gelbe Plüschkatze?
Nachdem diese Fragen mehr oder weniger beantwortet sind, nehme ich mein Smartphone in die Hand.
Textnachrichten,
E-mails,
und zuletzt Social Media.
Ich lese Posts, schaue Videos und dann ist da die explorepage.
Jetzt füttert der Algorithmus mich mit potentiellen Interessen.
Bücher,
Fashion,
süße Tiervideos,
Chiikawa.
Und Minute um Minute scrolle ich weiter und weiter. Immer weiter ins nichts. Ich habe Hunger.
Irgendwann stehe ich auf, lege mein Handy zur Seite, gehe kurz meiner Dinge nach.
Ich koche mir einen Tee und warte, bis das aufgesetzte Wasser blubbert. Erneut zücke ich das Telefon.
Anheben,
Face ID,
nach oben wischen,
App antippen
und nach Sekunden bin ich wieder im Tunnel. Im Tunnel ohne Ende.
Es klackt, das Wasser ist fertig, ich gieße es vorsichtig in eine Tasse.
Nach einer Weile sitze ich am PC, erledige Dinge. Mails beantworten, Termine buchen, planen und Ähnliches. Es macht Ping, jemand hat mir ein lustiges Video geschickt,
Handy anheben,
Face ID,
Nachricht antippen.
Zurück im Tunnel, im Tunnel des allgegenwärtigen Nichtstuns.
Antwort an Olena Fomenko