Fariba Amireskandari

Über mich:

Fariba Amireskandari ist seit etwa einem Jahrzehnt in den drei Bereichen Kochen, Handwerkskunst und Schreiben tätig. Diese Aktivitäten haben zu Auszeichnung bei über zehn Lebensmittel- und Handwerksfestivals, zur Organisation mehrerer gemeinsamer Handwerksausstellungen und zur Registrierung eines Recycling Kunstwerks geführt. Amireskandari hat auch drei Bücher im Bereich der Poesie, persönliche literarische Stücke sowie Kurzgeschichten veröffentlicht. Ihre Werke wurden im Iran in Zeitschriften veröffentlicht. Sie hat zwei Ehrendiplome in Kurzgeschichten und mehrere Preise bei Kurzgeschichten-Festivals erhalten.

Originaltext

Übersetzung

Liebe/r…,
Heute Abend dachte ich so bei mir selbst:
Wie schön ist es doch, dass die Welt um uns herum nicht gleichartig
und homogen geblieben ist. Zivilisationen, Völker und Nationen sind
mit unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Traditionen
entstanden. Wunderschön ist jetzt unsere Welt mit dieser Vielfalt.
Die Existenz verschiedener Gedanken und Bedürfnisse in
unterschiedlichen Ländern hat zu Entdeckungen und
Erfindungen geführt und inzwischen die Geheimnisse der
Schöpfungswelt enträstelt.
Aber als die Sehnsucht und das Heimweh mich überkamen, musste ich wieder nachdenken:
Was nützt es, wenn die Menschlichkeit und Freundschaft durch
Grenzen voneinander getrennt sind? Und – ohne Umstände und
Zwanglosigkeit bist du nicht in der Lage, alle Menschen der Welt als
Landsleute und Freunde anzusprechen und du kannst sie nicht ohne
jede Einschränkung und Erwartung lieben!
Weißt du, warum diese Gedanken in mir aufkommen?
Weil ich heute Abend sehr traurig und sehnsüchtig bin, traurig und
sehnsüchtig wie niemals… Nun möchte ich mit dir sprechen über
verschiedene Nostalgien, von denen eigentlich jedes Land für sich etwas hat. Ich sehne mich heute Nacht nach einer davon und möchte
jetzt gerne darüber mit dir, ja genau darüber sprechen. Aber ich fürchte mich
sehr, dich als Freund*in anzusprechen und dass du mich stattdessen
nicht als deinen Freund*in und Gefährt*in ansiehst!
Vielleicht, ich weiß es nicht…Vielleicht…

Vielleicht hast du genauso wie ich einen großen Kloß in der Kehle, wie wir sagen, viel Ungesagtes in dir und suchst immer noch nach jemandem, der dich versteht, der dich Freund*in nennt und den du gleichfalls als Freund*in ansiehst. Wir haben einen gemeinsamen
Planeten, also kann ich dich auch etwa „Mitplanetengefährt*in“
nennen. Bis zu dem Tag, an dem ich deine Antwort auf meinen Brief
bekomme und du dir gestattest, mein Freund*in zu sein.
Meine lieber/e Mitplanetenfreund*in, in ein paar Tagen wird der
Herbst zu Ende gehen. Der Herbst endet natürlich mit der längsten
Nacht des Jahres. Wir feiern aber diese Nacht in unserem Land als
„Tschelle oder Yalda-Nacht“ und einer alten Tradition zufolge
veranstalten wir ein großes Fest bis etwa zum Morgen. Unsere
Vorfahren haben in der Vergangenheit viele Herbste hinter sich
gelassen und schon furchtbare kalte Winter erlebt, was sie dazu
geführt hat, den traditionellen“Korsi“[1] zu erfinden. Er hatte ein
Becken in der Mitte, das mit glühenden Kohlen beheizt wurde. Er
wurde über Jahrhunderte zu einem der Heizmittel für Häuser. Jetzt ist der
„Korsi“ zu einem Symbol und zum Kulturerbe geworden. Man richtet
ihn in der Yalda-Nacht in den iranischen Häusern ein und
arrangiert verschiedene Süßigkeiten und Knabbereien sowie
Fingerfoods darauf. Die Wassermelone, die zu einer süßen
Erinnerung an den heißen Sommer zählt, sowie der Granatapfel
sollten unbedingt dabei sein. Sie gehören zu den obligatorischen und
notwendigen Sachen dieser Nacht. In dieser Nacht versammeln sich
Familien, Freunde und Verwandte. Wir Iraner haben natürlich
weltbekannte Dichter, darunter sind Hafis und Ferdowsi zu nennen.
In der Tschelle/Yalda-Nacht lesen die Menschen Ghazals aus dem
Diwan von Hafis und interpretieren jedes Gedicht, d.h. jedes Los, das
herauskommt, als gutes Omen. Sie lesen es laut und interpretieren
es. Manche lesen die mythologischen Geschichten von Ferdowsi vor.
Das Shahnameh/Königsbuch hat selbst seine eigene Art und Weise,
es zu rezitieren und man führt es wie ein lebendiges Theaterstück
auf. In dieser Nacht isst man heiße und gekochte rote Beete mit geröstete Kürbiskernen, die sehr lecker ist! Das Vergnügen des Miteinanderseins, die innigen Familienunterhaltungen machen die
lange Yalda-Nacht kurz.

Du, mein lieber/e Planetenfreund*in, ich bin dieses Jahr weit weg
von meinem Land Persien, sowie von dieser Tradition, stattdessen bin
ich sozusagen eine Gästin in deinem Land. Ich möchte dein/e
Freund*in sein und Du meine/r… Ich möchte von deinen
Sehnsüchten, deinem Heimweh und deinen Wünschen etwas hören. In dieser
Welt sollten wir nicht so allein und einsam sein. Unsere Herzen
sollten nicht so weit voneinander entfernt sein, wie die Entfernungen
zwischen unseren Ländern. Wir alle sind doch Kinder eines Planeten.
Wir können unsere Kulturen miteinander teilen. Vielleicht könntest
du eines Tages zu unserer Wohnung kommen und einen kleinen Tisch
für uns als „Korsi“ machen, ihn mit einer Decke bedecken und dann sitzen wir rund um den „Korsi“ herum zusammen. Ich könnte dann
die Hafis‘ Gazels vorlesen und wir könnten zusammen leckere Wassermelonen,
Süßigkeiten und eine Menge Knabbereien essen. Und stelle dir vor,
ich könnte mich an einem Weihnachtstag selbst als Weihnachtsmann
verkleiden, um dir Geschenke zu bringen und zusammen mit dir unter deinem
Weihnachtsbaum Fotos zu machen. Sicherlich werden zwischen uns
schöne Freundschaften entstehen, wenn wir nur der Liebe erlauben,
unsere gemeinsame Sprache zu sein.

[1]Korsi ist ein viereckiger, niedriger Tisch im iranischen Kulturkreis, der mit einer großen Decke belegt wird. Unter dem Tisch befindet sich traditionell ein Becken mit glühenden Kohlen. Um ihre Wärme langsamer abzugeben, sind sie unter einer dicken Ascheschicht verborgen. In der modernen Variante ist ein elektrischer Wärmespender ähnlich wie beim japanischen Kotatsu. Die übrig gebliebene Glut wird für das Anzünden der neuen Holzkohle verwendet. Am Sandali, wie der Heiztisch überwiegend in Afghanistan oder Korsi, wie er meist im Iran genannt wird, wärmen sich die Familienmitglieder in den Wintertagen, indem sie auf Matratzen sitzen, liegen und auch schlafen. Der Korsi steht in einem Gemeinschaftsraum, in dem sich die Familie während der Winterzeit unterhält, Gedichte (von Hafis) vorträgt und anderweitig die Zeit verbringt. Es ist ein traditionelles Haushaltsmöbelstück im Winter. Personen setzen sich auf den Boden, um das Korsi zum Essen oder zu besonderen Anlässen zu benutzen, beispielsweise zum Yalda-Fest. Mit den Vorbereitungen zum Nouruzfest (Hausputz) endet auch die Korsi-Zeit.

Aus dem Persischen übersetzt von Ali Abdollahi.