Über mich:
Gabriela Heidenreich, Dr. phil., Dipl.-Germanistin, Autorin, Lektorin, Leiterin von Schreibwerkstätten, geb. 1964, lebt auf der Insel Rügen.
Projektphase A:
Schon beim ersten Treffen wurde klar: Die Teilnehmenden verstanden mich kaum, ich verstand die Teilnehmenden nicht und die Teilnehmenden untereinander verstanden sich schon gar nicht. Ja, natürlich verstand die Ukrainerin die andere Ukrainerin und die Afghan*innen und die Syrerinnen verstanden sich jeweils untereinander, aber alle untereinander eben nicht. Was sollte das werden?
So viel vorweg: Es gelang. Die Seminarsprache Deutsch wurde oft zur Gebärdensprache, zur Pantomime. Die Handys mit den Übersetzungs-Apps liefen heiß. Schnell war klar, dass Texte in kleinen Portionen dargeboten werden mussten, damit sie besser in die Übersetzungs-Apps gefüttert werden konnten. Die Autor*innen lasen einen Abschnitt in ihrer Sprache, ich las und spielte ihn auf Rohübersetzungsdeutsch, verstanden wurde gewiss nicht jede Zeile, aber doch der Sinn, denn die Stimme der Vorlesenden, der Gesichtsausdruck, fliegende Hände oder Tränen sprachen für sich. Das Gefühl der Fremde, des Heimatverlustes, der Angst, der Trauer und – der Hoffnung war ihnen allen gemein.
Dass und wie sich diese Menschen uns Fremden in ihren Texten öffneten, hat mich sehr berührt.
Briefwechsel:
Gabriela Heidenreich – Mofida Ankir
Originaltext
Eine Sprache der Liebe sprechen
Liebe Mofida,
Dein Brief hat mich getroffen, wie muss es Dir, nach Deiner Flucht aus Syrien, in Deutschland ergangen sein, wenn Du davon sprichst, Du seist von einem physischen in einen psychischen Krieg gekommen.
Lass mich die Deutsche sein, die Dir, dunkle Kopftuchfrau, freundlich einen guten Morgen wünscht. Fühl Dich akzeptiert und sicher und angenommen. Ich möchte Dich froh und glücklich sehen!
Und glaub mir, oft schäme ich mich für meine Landsleute. Aber Du weißt es doch, es gibt, wie in jedem Volk, so auch unter den Deutschen sowohl gute Leute als auch Schweinehunde. Halte Ausschau nach Menschen, die den Menschen in Dir sehen, die neugierig auf Dich zugehen, die Humor haben! Es gibt sie. Und sie werden mit Dir eine Sprache der Liebe sprechen.
Gabriela
Nachsatz:
Einer, der unter den Deutschen furchtbar litt, war einer ihrer großen Dichter, Friedrich Höderlin (1770 – 1843). Ein Jakobiner, ein Anhänger des radikalen Flügels der Französischen Revolution, der auf eine freiheitliche schwäbische Republik hoffte. Mit dem Satz „So kam ich unter die Deutschen“ beginnt der vorletzte Brief aus seinem Roman „Hyperion“. Hölderlin beklagt in diesem Brief die politische und moralische Kälte seines Vaterlands. – Weil die Deutschen „die Wurzel des Gedeihens, die göttliche Natur nicht achten, daß bei ihnen eigentlich das Leben schal und sorgenschwer und übervoll von kalter, stummer Zwietracht ist“.
Ich muss Dir noch schnell meine Lieblingsstelle zitieren, in der Hölderlin die Deutschen wie folgt beschreibt:
Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien, in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit beleidigend für jede gutgeartete Seele, dumpf und harmonielos ]…] ich kann kein Volk mir denken, das zerrißner wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen ]… ] Die Tugenden der Deutschen aber sind ein glänzend Übel und nichts weiter; denn Notwerk sind sie nur, aus feiger Angst, mit Sklavenmühe, dem wüsten Herzen abgedrungen, und lassen trostlos jede reine Seele, die von Schönem gern sich nährt, ach! die verwöhnt vom heiligen Zusammenklang in edleren Naturen, den Mißlaut nicht erträgt, der schreiend ist in all der toten Ordnung dieser Menschen. – Ich sage dir: es ist nichts Heiliges, was nicht entheiligt, nicht zum ärmlichen Behelf herabgewürdigt ist bei diesem Volk, und was selbst unter Wilden göttlichrein sich meist erhält, das treiben diese allberechnenden Barbaren, wie man so ein Handwerk treibt, und können es nicht anders, denn wo einmal ein menschlich Wesen abgerichtet ist, da dient es seinem Zweck, da sucht es seinen Nutzen, es schwärmt nicht mehr, bewahre Gott! es bleibt gesetzt, und wenn es feiert und wenn es liebt und wenn es betet und selber, wenn des Frühlings holdes Fest, wenn die Versöhnungszeit der Welt die Sorgen alle löst, ]…] so bleibt der Deutsche doch in seinem Fach und kümmert sich nicht viel ums Wetter!
Antwort auf: Mofida Ankir