Josefine Wilhelm

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Briefwechsel:

Josefine Wilhelm – Mohammad Hossein Bamneshin

Originaltexte

Wie leichtfüßig, wie anschaulich und wie gut verträglich war dein Brief. Danke! Ich würde so gern sehen, wie die Buntnessel nun aussieht, wie sie angekommen ist, was für Nährstoffe ihr der neue Boden liefert. Und gefühlt 100 weitere Fragen habe ich auch noch. Wofür war das Kinderkleid in dem Koffer? Ist das Leben aus dem Koffer in einen Kleiderschrank umgezogen? Konntest du auch im Winter ein wenig Helligkeit und Hoffnung finden und wenn ja, wie? Kannst du mir – die den Winter aufs tiefste verabscheut – ein paar Tipps geben? 

Deine Worte sind so lebendig, dass ich mich fast schüchtern fühle, meine eigene Geschichte in Bezug dazu zu setzen. Sie erscheint mir klein und unwichtig, weil sie von freiwilligem Fortgehen erzählt, ohne die Schwere, die in deinem Brief mitschwingt. Bin ich doch gerade einmal aus meiner Heimat freiwillig zur Entfaltung meiner Blätter weggezogen, 500 km weit weg, im selben Land. Und konnte dabei so gut wie alles mitnehmen und meinen eigenen Topf nach meinen Vorlieben gestalten, pflegen und bewässern. Das Einzige, was ich dabei zurücklassen musste, war die Unbeschwertheit des Kind-Sein. Auf eigenen Beinen stehen, das Leben organisieren und seltener innehalten und das Kindliche rauslassen.

Ich würde dir gern etwas aus meiner Kindheit zeigen: meine Pflanze. Sie wuchs auf der Wiese hinter unserem Haus, war für die meisten Unkraut, aber für mich das Highlight nach einen Tag im Kindergarten oder der Schule.

Ich möchte dir meinen Sauerampfer näherbringen – eine Pflanze, die für mich so viel mehr ist als nur ein Unkraut. Ihre Blätter sind von einem satten Grün, mit einer zarten, fast samtigen Oberfläche, die in der Sonne einen Hauch von Silber aufleuchten lässt. Wenn man sie zerreibt, riecht sie frisch und leicht säuerlich, wie ein Gruß aus der Natur selbst. Die Stängel sind dünn, aber kräftig, fast widerspenstig und sie wiegen sich anmutig im Wind. Die kleinen zarten Blüten, die an den Spitzen wachsen, schimmern in einem verhaltenen Rot – fast so, als hätten sie sich dafür entschieden, nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen.

Ich erinnere mich, wie ich als Kind auf der Wiese hinter unserem Haus gekniet und die Blätter mit Vorsicht gepflückt habe, immer mit dem leisen Echo der Mahnung meiner Mutter im Hinterkopf: „Nicht zu viel, sonst bekommst du Bauchschmerzen.“ Doch diese warnenden Worte machten das Erlebnis nur noch besonderer – ein kleiner Akt der Rebellion, ein Abenteuer. Der erste Biss in ein frisches Blatt – dieser unvergleichliche Geschmack, eine Mischung aus Sauer, Bitter und Frisch, fast wie die Freude am Entdecken selbst – ließ mich jedes Mal lächeln. „Sauer macht lustig“ waren meine Worte. Und so war auch im Wald kein Sauerklee oder am Abendbrottisch keine Zitrone sicher vor mir. Aber nichts kam über das Erlebnis, den guten Sauerampfer auf der sonnendurchgleißten Wiese hinterm Haus. Manchmal habe ich ihn mit einer ähnlichen Pflanze verwechselt. Egal – trotzdem gegessen.

Nun ist seit 12 Jahren Rostock meine neue Heimat und ich habe noch keine Wiese mit Sauerampfer gefunden. Vielleicht habe ich auch nie wirklich danach gesucht. Manchmal frage ich mich, ob ich den Sauerampfer wiederfinden würde, ob er noch genauso schmecken würde wie damals. Aber ich merke, dass ich ihn nicht unbedingt pflücken muss, um ihn zu bewahren. Die Wiese, der Geschmack, das Kind-Sein – all das trage ich in mir, als eine Wurzel, die nicht ausgerissen wurde, sondern weiterlebt. Vielleicht ist das mein kleiner Topf, meine Erinnerung, die ich pflege, indem ich sie mit dir teile.

Ich stelle mir vor, wie du dich mit deiner Buntnessel an meiner Wiese wiederfindest, wie wir zusammen die Blätter prüfen, riechen und schmecken – ein Austausch zwischen dir, der seine Wurzeln in fremde Erde gesteckt hat und mir, die sich an die vertraute Erde klammert, die aber längst keine Heimat mehr ist. Vielleicht würdest du lachen, wenn ich dich anstupse und sage: „Siehst du? Keine Bauchschmerzen!“ Vielleicht würdest du mich daran erinnern, dass manche Blätter erst in neuer Erde so richtig wachsen können.

Ich würde dich gern einladen, mit mir zu entdecken, was diese Wiese voller Sauerampfer für uns beide bedeuten kann: für mich ein Stück Vergangenheit, das mich daran erinnert, wer ich einmal war, für dich vielleicht ein Moment des Ankommens, ein Ort, der keine Wurzeln fordert, sondern nur deine Neugier.

Und dann denke ich an deine Frage: Ist der neue Boden fruchtbarer? Ich kann dir keine klare Antwort geben. Aber ich hoffe, dass dein Topf – so wie meiner auf dieser imaginären Wiese – ein Platz bleibt, an dem du Neues probieren kannst. Selbst wenn es dich manchmal an deine Grenzen bringt, wie ein saurer Biss in ein frisches Blatt. Und ich hoffe, dass deine neuen Blätter, auch wenn sie erst zaghaft wachsen, irgendwann so satt farbig und widerstandsfähig sind wie die meines Sauerampfers es mal waren.
Antwort auf: Mohammad Hossein Bamneshin

Aber ich war nicht stark genug.
Und du wirst meine Entschuldigung niemals hören.
Kalt war es. Und er auch.
Meine Welt steht Kopf und gleichzeitig ergibt alles Sinn.
Dieses weiße Zimmer, gefüllt nur mit mir und einem Rucksack.
Wasser wird auf der Baustelle abgepumpt.
Es regnet.
Zum Glück holt er mich mit dem Auto ab.
Soll er sich doch zum Teufel scheren.
Überall Blut. 
Und Spaghetti Bolognese im Bett.
Kein Tag ohne dich.
Und ich kann mit dieser Schuld nicht leben.
Denn ich war nicht stark genug.