Über mich:
Mein Name ist Gaia Born, ich wurde 1979 in Nordrhein-Westfalen geboren, seit über 10 Jahren lebe ich mit Mann, zwei Kindern und zwei Katzen auf Rügen. Ich bin Freie Journalistin, Dozentin, Texterin. Und Leiterin einer wundervollen Schreibwerkstatt auf Rügen.
In dieser Funktion durfte ich auch dieses unglaubliche Projekt begleiten, das wie kaum ein Kurs Menschen bewegt hat. Zum einen die Migrantinnen und Migranten, die endlich schreiben durften, sich gehört fühlten. Und zum anderen die deutschen Teilnehmerinnen, die auf die Briefe antworteten, nicht ohne Mühen und oft im Ringen um Worte, im Kampf mit den eigenen Gefühlen und Erlebniswelten.
Wie hier Austausch gelungen ist, das kann man lesen. Es erfüllt mich mit Hoffnung und warmer Zuversicht, dass ein Miteinander über Grenzen und Nationen hinweg möglich ist. Wir können einander vestehen – wenn wir nur wollen.
Briefwechsel:
Gaia Born – Margaryta Yesaulkova
Gaia Born – Tetiana
Originaltext
Liebe Margaryta
Liebe Margaryta,
bitte hör nicht auf zu träumen! Das habe ich gleich gedacht, als ich diesen Text las. Ich kann dich so gut verstehen und habe die gleichen Ansichten zum Thema Zukunft. Es ist auch sicher deshalb gut, nicht zu wissen, was als Nächstes im Leben passiert, weil das Bedürfnis, Kontrolle über sein Leben zu übernehmen, dann übermächtig wäre. Und wir alle wissen: Wir können (und sollten) nicht alles kontrollieren und beeinflussen.
Dass diese Ungewissheit, was die Zukunft bringt, aber sozusagen der Motor ist, der die Menschen antreibt – diesen Gedanken finde ich sehr schön. Er macht aus etwas Unvermeidlichem etwas Schönes, ein Gespinst von Möglichkeiten. Möglichkeiten, die wir ergreifen können – oder eben nicht.
Ich glaube nicht, dass es klüger ist, nicht mehr zu träumen, zu fantasieren, zu wünschen. Das ist mir zu viel Realität. Aber du hast natürlich recht: Wer seinen Traum leben will, soll und muss etwas dafür tun. Es ist schön, wenn man dabei Unterstützung hat, liebe Menschen, die einem raten. Trotzdem finde ich, man sollte sich nicht zu sehr auf andere verlassen – denn jeder hat seine eigenen Träume. Und so sehr man sich auch verbunden fühlt – in manchen Momenten wird klar, dass doch jeder seine individuelle Erlebniswelt hat und manche Dinge eben doch anders bewertet oder den eigenen Wünschen den Vorrang einräumt.
Mein Wunsch wäre es, am Ende meines Lebens sagen zu können: „Ja, ich habe so gelebt, wie ich es wollte.“ Die eigentlichen Träume und Wünsche, die mich jetzt erfüllen, sind dann vielleicht gar nicht mehr so wichtig.
Für deine Pläne, Wünsche und Träume wünsche ich dir herzlich alles Gute – hoffentlich kannst du die notwendigen Schritte machen, die zur Erfüllung führen. Und noch mehr wünsche ich dir, dass die Erfüllung für dich dann auch wirklich Glück bedeutet.
Ich muss da immer an diesen Spruch denken: „Wähle weise, was du dir wünscht, es könnte sein, dass du es bekommst“. 🙂
Alles Liebe
Gaia
Antwort an: Margaryta Yesaulkova | Zukunft
Liebe Tetiana
Liebe Tetiana,
ein Vorher – und ein Nachher. Das sind Worte aus deinem Brief, die mich sehr getroffen haben. Für dich gibt es nun ein Vor-dem-Krieg und ein Nach-dem-Krieg. Und auch für mich gibt es jetzt ein Vorher und ein Nachher – denn deine Worte haben etwas verändert.
Natürlich habe ich Angst vor dem Krieg, es ist ein unbestimmtes Gefühl der Unruhe, das sich manchmal in Tagträumen finsterster Art manifestiert. Dann bekomme ich Film- oder Buchszenen nicht mehr aus dem Kopf, sehe Folterszenen, schreckliche Armut, Hunger, Tote. Aber das sind fiktionale Werke, mein Geist seufzt beruhigt, wenn ich diesen Fantasiespiralen ein Ende machen kann: Ja, aber das passiert ja nicht wirklich. Alles gut. Oder?
Dass ich nun Menschen kenne, die zumindest einen Teil dieser Ausgeburten meiner Fantasie tatsächlich erlebt haben, hat mich zutiefst erschüttert. Du hast Krieg erlebt, endlose Sirenen, die bangen Nachrichten „Lebt ihr?“. Und du bist jünger als ich. Bisher habe ich solche Erlebnisse in der Generation meiner Ur- und Großeltern verortet. Aber doch nicht jetzt, 2024, doch nicht hier, in Europa.
Die Geschichte deiner Flucht verdichtest du in einem kleinen Absatz, in 924 Zeichen, ich habe gezählt. Ich schaudere, wenn ich mir bewusst mache, wie viel in diesen wenigen Zeichen steckt. Und ich bewundere dich sehr dafür, dass du einen Weg gefunden hast, mit diesen Erfahrungen umzugehen. Irgendwie.
Denn statt über Verlorenes zu klagen, frustriert es dich, dass du noch nicht so gut Deutsch kannst, dass die Sprachbarriere es dir unmöglich macht, frei mit deinen Mitmenschen zu reden. In den Austausch zu gehen. Meine Tochter würde sagen „Wie krass ist das denn?!“ Und ich würde nur allzu gerne an deinem Geheimnis teilhaben: Wie schaffst du es, trotz all der Erlebnisse, trotz der Sorge um deinen Mann, trotz all deiner Ängste um Zukunft und deiner Verantwortung für deine Tochter deinen Prinzipien treu zu bleiben?
Ich bin so beeindruckt von deiner Einstellung. Du willst im Hier und Jetzt leben, alle Chancen nutzen und jede Hilfe schätzen. Ich glaube, das ist der größte Sieg über den Krieg. Dein Sieg.
Ich wünsche dir von Herzen, dass du zurückfindest in ein Leben ohne Sprachbarriere, ohne dieses gewisse Gefühl des Unausgesprochenen. Und vielleicht haben wir gemeinsam ein wenig dazu beitragen können.
Herzlich
Gaia
Antwort an: Tetiana | „Liebes Deutschland“