Berit Kunschke

Über mich:

Ich heiße Berit Kunschke und ich bin 1970 in Sassnitz geboren. Ich arbeite und wohne in Rambin, süd-westlich auf der Insel Rügen, und bin als Heilpraktikerin tätig. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder im Alter von 22 und 25 Jahren.

Briefwechsel:

Berit Kunschke – Tetiana
Berit Kunschke – Schima
Berit Kunschke – Margaryta Yesaulkova
Berit Kunschke – Lusy Belikowa

Originaltext

Liebe Leonida!

Ich heiße Berit Kunschke und ich bin 1970 in der Stadt geboren worden, in der du Zuflucht, eine neue Heimat gefunden hast. Ich arbeite und wohne in Rambin, süd-westlich auf der Insel Rügen, und bin als Heilpraktikerin tätig. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder im Alter von 22 und 25 Jahren.

Dein Gedicht Heimat hat mich sehr erfreut zu lesen. All das, was du als Heimat siehst, kommt meiner Vorstellung, meinen Gefühlen und Betrachtungen sehr nahe. Ich glaube, im letzten Leben ein Vogel gewesen zu sein. Wenn ich diese imposanten Geschöpfe beobachte, geht mir das Herz auf. Sei es die Schwalbe oder das Hausrotschwänzchen. Wenn sie bei uns auf dem Hof brüten, bin ich die Über-Mama und kümmere mich darum, dass sie in Ruhe ihre Jungen aufziehen können. Ich rede auch mit ihnen. Meine Familie kann darüber nur schmunzeln. Stille und Ruhe sind mir zu Hause auch sehr wichtig.

Die Natur, die Pflanzen im Garten, sind ebenfalls meine Heimat. Ich beobachte ebenso faszinierend die Tautropfen am Morgen. Ich habe ein Gedicht darüber geschrieben.

Frauenmantel

Tropfen für Tropfen
füllt sich der Kelch
umkleidet ganz zart
von feinstem Haar,
mit dem kostbaren Nass
des morgendlichen Taus.
Behutsam, ohne Eile
rollen kleinste Tropfen
vom welligen Rand,
fast geführt,
in die einladende Mitte
des Blattes hinab.
Vereinigen sich dort
zu einer anmutigen Perle,
die, wie ein Kind im Mutterleibe,
behütet im Innern
des Blattes liegt, und,
sich in Sicherheit wiegt.

Ja, die eigene Heimat leuchtet einfach farbenfroher. Der Wald ist grüner, die See blauer…

Ich bin nur fünf Jahre meiner Heimat fern gewesen. Die Jahre nenne ich im Nachhinein gerne Wanderjahre. Den Heimweh-Schmerz, den du spürst, kann ich sehr gut nachempfinden. Zuerst 400, später 700 Kilometer war ich meiner geliebten Heimat fern. Ich wusste damals schon, dass ich zurückkehren werde, zurück auf meine Insel. Ich hatte die Garantie.

Es tut mir in der Seele weh, wenn ich an eure Situation denke. Wann könnt ihr eure Heimat wiedersehen, wieder mit ihr verschmelzen? Während ich das denke und niederschreibe, zieht sich mir förmlich das Herz zusammen. Wie eine Klammer um meinen Herzmuskel. So fühlt es sich an.

Triggert mich dein Schmerz, weil er auch in meiner Familie noch so tief sitzt und nicht aufgearbeitet, verarbeitet ist? Meine Großeltern mussten im 2. Weltkrieg Haus, Hof und Arbeit über Nacht verlassen. Sie stammen aus Hinterpommern, dem heutigen Polen. Bei der Vertreibung war meine Mutter 4 Jahre alt. Mit ihrem zweijährigen Bruder saß sie im Handkarren und schloss sich dem Treck Richtung Westen an. Nie wieder konnten Omi und Opi in ihr Haus zurück. Die Sehnsucht ist bis zu ihrem Tod geblieben. Omis Wehklagen sitzt immer noch tief in meinen Ohren. Erlebe ich diesen Schmerz stellvertretend? Schon in der Bibel steht: …bis ins vierte Glied! Vielleicht macht mich die jetzige Situation dermaßen traurig, weil die Kriegserlebnisse von damals noch lange nicht aufgearbeitet sind und nun schon wieder Krieg in Europa ausgebrochen ist, mit Folgen von Flucht und Verwüstung?

Liebe Leonida, verliere nicht den Mut und die Hoffnung. Es muss dir nicht genauso gehen wie meinen Großeltern. Es kann dir in der Hinsicht schon besser gehen, indem du über deine Gefühle redest, schreibst, so wie du es gerade tust. Meine Großeltern haben den Schmerz ganz tief in sich vergraben. Er hat sie härter, verbitterter gemacht. Deshalb lass Worte von alten Menschen, die verletzend sein sollten, nicht zu nah an dich ran. Zum Beispiel wenn einer sagt: „Die sehen ja gar nicht wie Flüchtlinge aus. Wir hatten gar nichts als wir hierher kamen. Nur Lumpen am Leib und Hunger. Aber die sind schick angezogen und pflegen sich ihre langen, künstlichen Nägel.“ Es hat nichts mit dir zu tun. Nur mit ihrem eigenen Schmerz der Vertreibung.

In dem nächsten Abschnitt schreibst du über die Brücke. Zitat:“ Manchmal möchte ich eine Brücke sein…eine Brücke zwischen den Kulturen…“ Die Brücke erinnert dich an ein Märchen von zwei Liebenden, die sich nicht treffen, sondern nur von Gipfel zu Gipfel sehen können. Wie traurig allein die Vorstellung! Seit Jahren sammle ich Geschichten, Liebesgeschichten aus all meinen gelesenen Büchern heraus. Liebesgeschichten, platonische Lieben, unerfüllt gebliebene Lieben… Wenn du damit einverstanden bist, dann würde ich deine Geschichte (dein Märchen) gerne dazulegen. Es wäre mir eine Freude.

Der Text über die „Vergleiche“ hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Du schreibst darüber, dass in deinem Land den Alten mehr Respekt gezollt wird. Das hast du richtig beobachtet. In Deutschland, so habe ich manchmal den Eindruck, ist alt werden oder alt sein etwas ganz Schreckliches. Es besteht ein Jugendwahn, der nur gegen den Baum fahren kann. Ich glaube, diese Generation ist selbst schuld an dem Dilemma. Dass man ihnen beispielsweise keinen Sitzplatz anbietet. Sie hassen sich am meisten für ihr Alter. Dann brauchen sie sich nicht zu wundern, dass die Jugend diese Ansicht kopiert.

Wenn ich zum Beispiel eine Frau vor mir sehe, die angezogen ist wie ein junges Mädchen und die sich dann umdreht, bekomme ich oft einen Schreck. Vor nicht allzu langer Zeit suchte ich mit meiner Tochter eine Winterjacke. Ich schlug ihr eine rote, peppige Jacke vor. Daraufhin rief sie entrüstet: Auf keinen Fall. So etwas trägt Oma! Was trägt die Jugend deshalb, um sich abzugrenzen? Schwarz! Das ist meine Theorie.

Weiteres Beispiel: Wenn ich – so wie ich erzogen wurde – älteren Leuten in der Bahn, Bus, Arztpraxis einen Platz anbiete, bekam ich oft die entrüstete Antwort:  Ich bin doch nicht alt! Hat man da noch Lust, ein weiteres mal höflich zu sein?

Oder, wenn ich nun aufgrund des günstigen Deutschlandickets oft die Bahn benutze, sehe ich zu den Stoßzeiten Truppen von ber 80-Jährigen mit ihren E-Bikes in die Züge hetzen und die Räder hineinhiefen. Was tun die sich an? Auf Biegen und Brechen jung sein, jung bleiben? Oder sind sie wirklich so fit, weil sie das Glück hatten, mit 60 Jahren in Rente gehen zu können und schon zwanzig Jahre ein sorgenfreies Leben hatten? 

Ich schäme mich manchmal für diese Generation. Mein Wunsch ist wirklich, dem Alter gelassener gegenüberzustehen. Ich möchte einfach für meine Enkelkinder da sein. Ruhe, Gelassenheit ausstrahlen. Ihnen Wurzeln geben, wenn sie zu entwurzeln drohen. Einfach da sein, wenn sie Gesprächsbedarf haben und zuhören. So war meine Omi. Sie verwöhnte mich auch mit gutem Essen. Das umschreibt der Begriff Großeltern für mich. Was bringen unseren Kindern Großeltern, die nur auf Achse sind und noch weniger Zeit haben als die Eltern? Entschuldigung, ich höre jetzt mit dem Thema auf. Du hast einen wunden Punkt bei mir getroffen.

Zum Schluss möchte ich auf deinen angedeuteten Morgengruß reagieren. Du hast recht. Ein kleiner Morgengruß von einem Fremden ist wie ein kleiner Teil Heimat. Als ich vor 35 Jahren  nach dem Fall der Mauer in der DDR in die Bundesrepublik Deutschland übersiedelte, war ich sehr allein. In meiner alten Heimat brach vieles zusammen. Vorher waren wir ein sozialistischer Staat, nun musste über Nacht die freie Marktwirtschaft erlernt werden. Da blieben so manche auf der Strecke. Die Zeiten waren sehr unsicher, sodass meine Schwester und ich Richtung Westen zogen. Ich war im Dauerstress, ob der vielen Veränderungen. Wir sprachen zwar dieselbe Sprache, aber trotzdem verstand ich mein Umfeld nicht. Sie waren ganz anders aufgewachsen, hatten völlig andere Vorstellungen und Erfahrungen als ich. Mein Magen stand auf Dauerrebellion und mir ging es wie dir… auch mein Herz schlug mir dauernd bis zum Hals. Aber die Zeit heilte auch meinen Heimwehschmerz allmählich. Jeden Morgen begegnete ich denselben Menschen auf dem Weg zur Arbeit. Ich war ihnen vom Anblick nicht mehr fremd. So war ich ebenso glücklich, als mich erstmalig jemand grüßte. Das war wie Balsam für die Seele. Was doch ein einfacher Gruß bewirken kann. Das ist doch faszinierend, oder ?

Liebe Leonida, ich wünsche dir von Herzen, dass du eine erfüllte Zeit in unserer wunderschönen Heimat hast, bis, ja bis du zu deinen Wurzeln zurückkehren kannst. Vielleicht ist es aber auch ganz anders in ein paar Jahren und du bleibst hier, obwohl du zurückkehren kannst. Weil du hier heimisch wurdest?

Vielleicht hat dich mein Brief etwas mehr die Deutschen verstehen lassen, ihr Leben, auch ihre traurige Vergangenheit.

Ich werde die Wareniki herstellen. Das Rezept habe ich mir schon aufgeschrieben. Aber vielleicht hast du Lust, es mir persöhnlich zu zeigen? Ich würde mich darüber sehr freuen.

Liebe Grüße
Berit

Antwort an: Lusy Belikowa

Haiku

Die Fremde ängstigt
aber Blicke und Hände
verändern alles

Antwort an: Lusy Belikowa

Leben
Menschen lieben
sich nah sein
Verstehen ohne viel Worte
Verschmelzung

Antwort an: Schima | Glück

Verantwortung
jeden Tag
von früh bis spät
von jung bis alt

Druck

Entscheidungen
jeden Tag
früh bis spät
zwischen Kopf und Herz
Gratwanderung

Antwort an: Tetiana

Gewitter
plötzliche Dunkelheit
Donner und Blitze
duellieren sich, ohne Sieger
Reinigung

Antwort an: Margaryta Yesaulkova | Die Seele