Daniela Kulczak

Über mich:

Mein Name ist Daniela Kulczak. Ich bin 57 Jahre alt und in Magdeburg geboren. In meiner aktiven Berufszeit war ich als Juristin tätig. Meine große Leidenschaft ist das Schreiben.
Bisher habe ich in meinem Leben zwar schon viele Briefe geschrieben, aber bisher noch nicht an Menschen, den ich nicht persönlich kenne. Für mich war das Schreiben der Briefe für das Projekt lettersfound.de eine spannende Erfahrung und gleichzeitig hoffe ich, damit einen kleinen Beitrag zur Integration von Menschen geleistet zu haben. Und vielleicht entstehen durch dieses Projekt ja sogar persönliche Kontakte. Wer weiß?

Ein herzliches Dankeschön gilt allen schreibfreudigen Menschen, die es gewagt haben, ihre persönlichen Erfahrungen, die sie mit dem Krieg gemacht haben, aufzuschreiben und hier mitzuteilen. Ich finde, dass dies ein sehr wertvoller Beitrag zum gegenseitigen Verstehen ist.

Danke.

Briefwechsel:

Daniela Kulczak – Anton Kalnitska
Daniela Kulczak – Hanna Bohatkina
Daniela Kulczak – Irina Sviridova

Originaltext

Sicherheit  
Wohlig geborgen 
Das Meer heilt 
Beim Atmen Lebendigkeit spüren  
Naturverbundenheit 


Liebe Juliia, lieber Anton, 

herzlichen Dank für Ihren Brief. Eigentlich wollte ich ja schon gestern ein paar Zeilen für Sie schreiben, aber dazu war ich noch nicht in der Lage, nachdem ich von Ihrem Schicksal und dem Schicksal all der anderen, die ihre Erfahrungen in den Briefen, die unter lettersfound. de veröffentlicht worden sind, gelesen habe. Denn habe ich keine Antwort darauf, wieso Menschen so grausam sein können und soviel Energie aufwenden, um anderen Menschen ihr Leben zu verwehren.  

Obwohl ich Sie persönlich nicht kenne, haben Ihre Zeilen in mir etwas bewirkt. Die Berichte vom Ukraine-Krieg sind plötzlich nicht mehr so anonym. Ein Ausgrenzen und Abgrenzen ist mir nicht mehr möglich. Der Krieg ist plötzlich persönlich geworden und damit noch näher an meinem Herzen. Mein Herz möchte sich vor solchen Erfahrungen schützen, aber trotz aller Bemühungen kann es dies nun nicht mehr.

So spüre ich denn ein inneres Bedürfnis, mein Herz für Sie zu öffnen und mich mit Ihrem Schicksal mitfühlend zu verbinden.

Wie schön das Leben doch ohne Krieg für Sie war und auch weiter hätte sein können.  Die liebevollen Worte, mit denen Sie Ihre Heimat beschrieben haben, haben mich tief berührt. Und dann dieser Bruch. KRIEG. Die geplante Hochzeit fand, wenn ich das richtig verstanden habe, schon in den ersten Kriegstagen statt und wurde sicher von den Ereignissen überschattet, ohne dass irgendjemand zu diesem Zeitpunkt schon die genauen Ereignisse und das Ausmaß all der Dinge, die noch kommen sollten, ahnen konnte. Wer sollte auch schon so etwas ahnen können und wollen. Würde man dies wollen und können, dann wäre ein Weiterleben bestimmt kaum möglich. Hätte man vielleicht nicht den Mut, immer wieder neu anzufangen.  

Nach der ersten Flucht hatte sich das Blatt Ihres Schicksals wieder gewendet. Ein Neuanfang schien geglückt. Bis zum 24.02.2022. Was dann geschah, liest sich noch viel dramatischer als das Szenario aus dem Jahr 2014. Und es ist schon eine Ironie des Schicksals, dass Ihre erneute Flucht Sie ausgerechnet wieder nach Donezk geführt hat, an den Ort Ihrer einst glücklichen Vergangenheit, den Sie nun noch zerstörter als bei Ihrer ersten Flucht wiedersehen mussten. Ich glaube, Ihr Schicksal zeigt, dass es manchmal zunächst keinen Weg mehr zurück gibt, sondern nur einen vorwärts. Dieser Weg hat Sie nach Deutschland geführt. 

Aus den Erzählungen meiner Oma weiß ich, was es für Menschen heißt, aus ihrer Heimat flüchten zu müssen. Sie ist mit einem Flüchtlingsschiff in Sassnitz gelandet, nachdem dieses Schiff wie durch ein Wunder nicht durch die britischen Bomber getroffen worden war, die in der Nacht vom 06. zum 07.03.1945 erhebliche Zerstörungen in Sassnitz anrichteten. Mehrere hundert Tote – eine Vielzahl von ihnen befand sich auf dem Lazarettschiff Robert Möhringen, das nach dem Bombenangriff gesunken ist. Zu der Zeit sollen sich über 40 000 Flüchtlinge in Sassnitz aufgehalten haben. In einem Ort, in dem damals weniger als 10 000 Einwohner wohnten. Das müssen ziemlich chaotische Zustände gewesen sein.

Vieles, was meine Oma auf ihrer Flucht erlebt hat, war so unbeschreiblich grausam, dass es schon fast unwirklich erscheint. Schon damals fragte ich mich: Warum gibt es nur immer wieder diese Kriege? Gehören Kriege etwa zum Dasein des Menschen? Müssen wir gar lernen zu akzeptieren, dass es immer Kriege geben wird? Irgendwie sträube ich mich dagegen. Der kluge Menschenverstand hat zwar schon viele Erfindungen hervorgebracht, aber immer noch keine Lösung zur Vermeidung von Kriegen gefunden. Wenn man bedenkt, welche Auswirkungen der Krieg selbst noch nach Beendigung des Krieges auf die Menschen hat, ist das mehr als bedauerlich.  

Bei meiner Oma hatte ich den Eindruck, als sei ein Teil von ihr immer noch auf der Flucht, auch wenn sie später weit weg vom Ort dieser Schrecknisse einen neuen Wohnort gefunden hat. Eine richtiges Zuhause war es aber nie.

Heute ist in Sassnitz nichts mehr vom Krieg zu sehen. Ich hoffe, das Sie eine schöne Wohnung in Sassnitz gefunden haben, in der Sie sich sicher und geborgen fühlen. Mein Wunsch ist es, dass Sie hier eine neue Heimat finden und nicht mehr flüchten müssen, sondern entweder bis an Ihr Lebensende in Sassnitz wohnen können oder die Stadt nur noch verlassen, wenn dies auch Ihr freier Wille ist.  

Übrigens, soll ich Ihnen mal was verraten? Wir wohnen in demselben Ort. Mich hat der Tod meines Vaters im Februar 2022 nach Sassnitz geführt. Vielleicht sind wir uns ja hier schon einmal begegnet. Bestimmt. Sassnitz ist ja nicht sehr groß.  

Wenn man bedenkt, dass man täglich so vielen Menschen begegnet, ohne ihnen einmal in die Augen geschaut zu haben, so ist das doch traurig. Wer weiß, welches Schicksal einem dann begegnen würde? 

Liebe Juliia, lieber Anton, wie wäre es, wenn wir uns mal persönlich treffen könnten? Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie daran Interesse hätten. 

Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute für Ihre Zukunft.  

Herzliche Grüße
Daniela Kulczak

Antwort an: Anton Kalnitska

Liebe Hanna,

wissen Sie, was mir erst jetzt wieder eingefallen ist, ein paar Tage nachdem ich Ihren Brief gelesen habe? Sie haben geschildert, dass Sie nun in Deutschland leben, aber nicht wie früher als Touristin gekommen sind, sondern als Zufluchtsuchende. Mir ist doch tatsächlich eingefallen, dass ich beinahe meine erste Auslandsreise ohne meine Eltern nach Kiew gemacht hätte. Seit Jahren habe ich daran nicht mehr gedacht und war ganz erstaunt über diese Erinnerung.

Ich wollte mit einer Freundin die Reise antreten, wir hatten sie über das Reisebüro der FDJ (Freie Deutsche Jugend) namens Jungendtourist gebucht. Doch zuerst sagte meine Freundin ab. Und dann geschah die Katastrophe von Tschernobyl, was mich dazu veranlasste, mich mit Händen und Füßen gegen diese Reise zu wehren. Zu DDR-Zeiten war das gar nicht so einfach, einmal gebucht, für immer verpflichtet.

1988 hatte ich erneut die Möglichkeit, über Jugendtourist nach Moskau zu fliegen. Gemeinsam mit meinem damals zukünftigen Mann trat ich meine erste Flugreise an. Mein Mann hatte mich davor gewarnt, dass einem während des Fluges übel werden könnte. Aber zum Glück habe ich das nicht als Aufforderung verstanden und bin zwar etwas aufgeregt, aber dennoch wohlbehalten in Moskau gelandet.

An Moskau selbst habe ich nicht mehr allzu viele Erinnerungen. Riesige Magistralen, die eine unendliche Weite vorspiegelten, in der man sich irgendwie verloren fühlte. Ein Besuch des Mausoleums auf dem Roten Platz war natürlich Pflicht und so reihten wir uns in die lange Schlange ein, die wartend vor dem Eingang stand, um an dem einbalsamierten Lenin vorbeizumarschieren. Lenin hat bestimmt in seinem konservierten Zustand mehr Menschen zu Gesicht bekommen, als zu seinen Lebzeiten.

Das Kaufhaus GUM ganz in der Nähe hat mich in zweierlei Hinsicht beeindruckt, erstens architektonisch und zweitens „konsumententechnisch“. So viele Geschäfte mit Socken hatte ich mein Lebtag noch nie gesehen. In jedem zweiten Laden Socken über Socken,  wahrscheinlich schon damals ein Ausdruck der fehlenden Wirtschaftskraft der UdSSR. Ob das vielleicht auch eine Ursache des aktuellen Krieges ist?

Jedenfalls dachte ich damals so bei mir: Warum meckern meine Landsleute eigentlich immer so extrem über Waren, die es nicht gibt? Vielleicht sollten einige sich mal die vielen Sockenläden hier anschauen und nicht so viel Werbung im Westfernsehen. Damals konnte man wirklich bereits Armut in Moskau spüren.

Die Verpflegung im Jugendtourist-Hotel war für meinen verwöhnten Gaumen eine Katastrophe. Aber offensichtlich war mein Hunger noch nicht so groß, als dass ich mir dieses für mich ungenießbare Essen runterquälen konnte. So war ich froh, als ich wieder wohlbehalten in der DDR, die mir plötzlich wie ein Schlaraffenland vorkam, gelandet bin. Dann kam die Wende und ich bin eher gen Westen gereist und wenn gen Osten, dann nur bis Polen, aber weder in die Ukraine noch nach Russland.

Dafür sind inzwischen viele Menschen aus Kriegsgebieten zu uns nach Deutschland gekommen und was macht ein Teil der Deutschen? Anstatt glücklich darüber zu sein, dass wir hier ohne Krieg leben dürfen, wird wieder gemeckert. 

Es wird darüber gemeckert, dass der Wohlstand mehr und mehr schwindet. Muss der Mensch eigentlich immer erst alles verlieren, um zu erkennen was viel wichtiger ist? Für mich ist diese Meckerei irgendwie typisch deutsch.

Vielleicht sollten wir langsam lernen, uns abzuwenden vom schnöden Mammon und uns darauf konzentrieren, dass wir Menschen sind. Menschen mit Herz, das endlich mal das Sagen haben möchte.  Mitmenschlichkeit scheint für manche nur eine hohle Phrase zu sein.

Gerade die DDR-Bürger hatten doch schon gelernt, dass es sich in Gemeinschaft besser lebt und so vermissen einige das frühere Miteinander im Kollegenkreis und in der Nachbarschaft. Vielleicht sind ja die Hunde ein Trost für die fehlende Mitmenschlichkeit.

Hoffentlich führen wir zukünftig keinen Kampf um das Bewahren von materiellen Dingen. Das führt für mich nämlich nur zum Verschließen der Herzen und zu noch mehr Krieg. 

Deshalb bin ich dankbar für das Projekt Lettersfound,.de und Ihnen, Hanna. Das Projekt ist wieder ein kleiner Schritt zur Annäherung. Wir können uns einander öffnen.

Ich finde es übrigens spannend, dass Sie geschrieben haben, was aus Ihrer Sicht so typisch deutsch ist. Vielleicht können wir ja gemeinsam über die jeweiligen Eigenheiten des anderen staunen und über Kuriositäten lachen, ohne irgendjemanden überzubewerten oder gar abzuwerten. Das wäre mein ganz persönlicher Wunsch und vielleicht reisen wir ja irgendwann gemeinsam, wenn wieder Frieden herrscht, gemeinsam als Touristen überall hin. Warum nicht sogar vielleicht auch mal wieder nach Russland?

Liebe Grüße sendet
Daniela Kulczak

Antwort an: Hanna Bohatkina

Leben
Menschen lieben
sich nah sein
Verstehen ohne viel Worte
Verschmelzung

Antwort an: Irina Sviridova